Der Weißbär - Bongo Teil 2
Es war einmal ein kleines Koalamädchen, das in einem großen grünen Wald lebte, zusammen mit vielen anderen Bären, die - im Gegensatz zu ihm - dort geboren worden waren. Das Koalamädchen wusste, dass es nicht dort hin gehörte; es war durch Zufall in dem Wald bei den anderen Bären gelandet. Doch mit der Zeit hatte es sich mit den anderen Bären angefreundet und fühlte sich dort sogar wohl.
Bongo, der tapsige Brummbär, versorgte es des Öfteren mit Honig, wenn es ihm nicht gut ging. Und auch der weise alte Grizzly Grim stand ihm mit Rat und Tat zur Seite.
Eines sonnigen Tages hing Kowina - so nämlich hieß das kleine Koalamädchen - an ihrem Baum und kaute hungrig auf einigen Lorbeerblättern herum, als sie plötzlich etwas großes weißes in ihrem Augenwinkel erspähte.
Neugierig drehte sie sich zur Seite und erblickte... einen weißen Bären!
Schnell kletterte sie auf einen etwas höher hängenden Ast, um sich vor ihm zu verstecken, wartete, bis er außer Sichtweite war und begab sich schließlich zu den anderen Bären, um ihnen davon zu erzählen.
Als erstes traf sie auf Bongo, der gemütlich in seiner Hängematte lag und Beeren verspeiste. Er erschrak und sein Puls schoss in die Höhe, als Kowina aufgeregt auf seinen dicken Bauch sprang und versuchte, ihm zu erklären, was sie gerade gesehen hatte. Vor Aufregung brachte sie nur wirres Gefasel heraus.
„Nun beruhige dich doch!“, sprach Bongo und hielt ihr rechtes Bein fest. Damit wackelte sie immer, wenn sie nervös oder aufgeregt war.
„Noch mal von vorne. Ganz langsam.“
„Also, ich hing an meinem Baum und kaute gerade auf einem Lorbeerblatt herum, als plötzlich ein großer Bär an mir vorbei lief.“
„Und?“, fragte Bongo unbeeindruckt.
„Er war weiß!“
„Weiß?“, wiederholte er verwundert.
„Ja. Er war komplett weiß!“
„Und du bist dir sicher, dass es ein Bär war?“
„Ganz sicher!“
„Mhh...“, brummte Bongo nachdenklich, „Vielleicht war er in einen Topf mit Farbe gefallen!“
„Vielleicht.“, stimmte Kowina ihm zu. Doch revidierte dann: „Aber welcher Topf sollte so groß sein, dass ein ausgewachsener Bär hineinpasst?“
„Du hast recht. Wir sollten Grim fragen, er weiß auf fast alles eine Antwort!“, schlug Bongo schließlich vor.
Also machten sie sich auf den Weg zum alten weisen Grim, der in einer großen grauen Höhle mitten im Wald wohnte.
Kurz bevor sie dort ankamen, hörten sie ein lautes Brummen aus dem dichten Gebüsch und fuhren erschrocken zusammen.
„Da... da ist er!“, rief Kowina und zeigte mit ihren Krallen auf den großen weißen Bären.
Selbst Bongo erschrak bei dem Anblick. So etwas, wie weiße Bären gab es doch nicht! Er hatte schon graue Bären gesehen, schwarze, auch alle möglichen Brauntöne, aber weiß? Nein, unmöglich!
Doch bevor sie irgendetwas sagen oder tun konnten, war der Weißbär auch schon wieder verschwunden. Schnell liefen Bongo und Kowina zu Grim und erzählten ihm von dem Vorfall.
Dieser brach in schallendes Gelächter aus.
„Weißt du noch...“, er wandte sich an Bongo, „... wie verwundert wir alle waren, als Kowina in den Wald kam?“
Bongo dachte nach. Er hatte das kleine Koalamädchen damals direkt in sein Herz geschlossen, deswegen hatte er schnell vergessen, dass sie anders aussah als die anderen Bären.
„Ich komme aus Australien“, erklärte sie, „Deswegen sehe ich anders aus und brauche auch manchmal anderes Essen als ihr!“
Bongo erinnerte sich und nickte schließlich.
„Willst du damit sagen...“, begann Kowina, „...dass dieser weiße Bär woanders her kommt und deswegen anders aussieht?“, beendete Bongo den Satz.
Grim nickte.
„Und woher kommt er?“, fragte Kowina neugierig.
„Das müsst ihr schon selbst herausfinden.“, lächelte Grim und begleitete die beiden hinaus.
„Was machen wir jetzt?“, Kowina war ratlos.
„Ich denke“, antwortete Bongo, „wir müssen den Weißbären suchen und ihn selbst fragen.“
„Das ist eine gute Idee!“, warf Kowina ein, „Er hat vielleicht Angst und fühlt sich ganz allein, so wie ich damals, als ich hier her kam!“
Also machten sie sich auf den Weg, den Weißbären zu finden.
Sie brauchten den ganzen Nachmittag und wollten gerade an einer Stelle am Fluss pausieren, als sie wieder das laute Brummen hörten. Und schon stand der Weißbär hinter ihnen. Nachdem sie den ersten Schreck überwunden hatte, fiel Kowina auf, dass er genauso erschrocken aussah, wie sie selbst und dabei war, sich zurückzuziehen.
„Hey, du! Warte mal!“, rief sie ihm zu, bevor er wieder verschwinden konnte. Verwundert drehte der Weißbär sich um, immer noch ängstlich dreinblickend.
„Wir tun dir nichts! Wir wollen nur wissen, wer du bist!“, fügte Bongo hinzu. "Mein Name ist Bongo."
"Und ich bin Kowina. Und wie heißt du?"
"Ich... ich heiße Glace.", antwortete der Weißbär, noch immer verunsichert.
"Das ist ein schöner Name!", lobte Kowina. "Gibt es den oft, da, wo du herkommst?“
„Ich weiß nicht.“, antwortete Glace. Langsam schien die Angst aus seinen Augen zu verschwinden. „Bei uns am Nordpol kann es vorkommen, dass man tagelang keine anderen Eisbären sieht! Ich hatte meist nur meine Familie um mich herum.“
„Eisbären?“, wunderte sich Kowina. „Bist du aus Eis?“
„Nein.“, lachte Glace, „Wir heißen so, weil es dort, wo wir leben, so kalt ist. Ich bin genauso, wie ihr. Ich sehe nur etwas anders aus.“
Bongo brummte nachdenklich: „Und wieso bist du nun hier? Was ist denn mit deiner Familie?“
Glace senkte den Blick. „Sie... wurden von Wilderern mitgenommen, einige wurden sogar vor meinen Augen getötet.“
„Das ist ja furchtbar!“, rief Bongo schockiert. Kowina hatte Tränen in den Augen und schwieg.
„Ich konnte als einziger entkommen. Tagelang bin ich gelaufen und irgendwann landete ich hier. Hier ist es schön ruhig und ich konnte mich etwas ausruhen und aus dem Fluss trinken. Aber ich wollte euch nicht erschrecken.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen! Anscheinend haben wir dich mehr erschreckt, als du uns.“, erklärte Kowina mitfühlend. „Du kannst natürlich hier bei uns bleiben, wenn du möchtest.“, bot Bongo mitfühlend an.
„Aber ich passe doch gar nicht hier her!“, entgegnete Glace. „Was werden denn die anderen Bären dazu sagen, dass ich weiß bin?“
„Hast du mich mal angesehen?“, sagte Kowina. „Ich habe Knopfaugen und Pinsel an den Ohren! Ich sehe ganz anders aus, als alle anderen Bären hier. Und trotzdem haben sie mich aufgenommen, als ich hier niemanden hatte. Es war ihnen ganz egal, wie ich aussehe!“
Bongo stellte sich ekstatisch auf seine Hinterbeine: „Weißt du was? Wir feiern heute Abend ein Willkommens-Fest für dich! Da kannst du alle Bären hier im Wald kennen lernen und wirst sehen, dass du ihnen vertrauen kannst!“
„Das ist eine super Idee, Bongo!“, stimmte Kowina begeistert zu.
Schon wenige Stunden später hatten sie alle Bären des Waldes zusammengetrommelt und feierten den ganzen Abend und die ganze Nacht lang. Alle waren ganz begeistert von Glaces weißem Fell und nahmen ihn bei sich auf, wie sie es zuvor schon mit Kowina getan hatten.
So kam es, dass der 'Weißbär' ein neues Zuhause und das Koalamädchen einen neuen Freund fand.
Ende
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